Hallo Chaos,

(Antworten bitte bevorzugt off-list und persönlich. Ich möchte das nicht hier diskutieren, das führt zu nichts.)

Offensichtliche Gewalt ist allgegenwärtig. Gewalt in Hackerspaces hingegen läuft meist intellektueller, perfider, in Form von verbaler Gewalt [1] und emotionaler Gewalt [2].

Als Mitgründer eines Hackerspaces und schon lange Space- und Communityinteressierter sind mir solche Themen und die unbefriedigende Lage im Umgang damit im Spannungsfeld “All Creatures Welcome”, CoCs etc. natürlich regelmässig begegnet (ich sag nur: 10 Jahre Tor Core Member…). Das ganze hat für mich persönlich eine komplett neue Dimension angenommen seit ich 2020 zum ersten Mal eine Beziehung “innerhalb der Szene” eingegangen bin, und prompt in einer “toxischen Beziehung”[3] gelandet bin. Jetzt bin ich seit über einem Jahr mehrmals die Woche in Gewalttrauma-Therapie, und nach wie vor praktisch arbeits- und annähernd ‘lebensunfähig’. Und ich habe nun auch (leider) umrissen, wieso es völlig korrekt “verbale/emotionale Gewalt” heißt und auch *ist*, was Begriffe wie “triggern”, “Gaslighting”, “Toxizität”, “Täter-Opfer-Umkehr”, usw. wirklich bedeuten, und wieso es so real schmerzhaft für Traumatisierte ist, wenn diese verharmlosend eingesetzt werden.

Von manchen Club-Polys höre ich, das seien alles “Spiele”, und “ganz normal”, “an der Tagesordnung”. “Selbst schuld wenn du darauf reingefallen bist und mit dir derartig spielen hast lassen”. Eine solche Perspektive ist eine Verharmlosung und Normalisierung von krasser psychischer Gewalt, die bewiesenermaßen Menschen in den Suizid treiben kann. Was es bei mir auch beinahe getan hätte. Wenn ich auf mein Clubleben mit neuen Augen zurückschaue fallen mir so einige Fälle ein bei denen ich vermute dass genau das passiert ist. Polys/BDSMler würden da doch erst recht auf “informed consent” pochen… Dachte ich. Außerdem zeugt es von Ignoranz gegenüber der Verzweiflung der TäterInnen (und Opfer), und erschwert deren “Heilung”. TäterInnen einfach gewähren zu lassen und wegzuschauen und so in ihrem Verhalten zu bestärken (“bei sowas mischt man sich nicht ein”, “das ist Privatsache”), oder im anderen Extrem beim kleinsten Verstoß ins Exil zu schicken, halte ich für keine gesellschaftlich oder humanitär vertretbare Haltung. Ganz im Gegenteil. Leider ist sie mir in dem Zuge erschreckend häufig begegnet.

Ansonsten wusste plötzlich jeder im Club mit dem ich darüber gesprochen habe über das Thema genauestens Bescheid, und hatte von anderen miterlebten Fällen zu berichten. Nach meiner Veröffentlichung in überschaubarem Kreis auf Twitter[4] haben sich einige gemeldet die ähnliches erleben mussten, und teilweise noch Jahrzehnte später emotionale Schwierigkeiten haben, sich auf Club-Events oder in “ihren” Spaces blicken zu lassen, weil “die TäterIn dort ist/sein könnte”, und sie auf Unverständnis gestossen sind. Um für mich zu sprechen: Ich kann ich mir gerade jedenfalls noch nicht vorstellen, jemals wieder frei und unbeschwert in der Szene (oder in Berlin) rumzuspringen. Nur unter allergrößter Kraftanstrengung und körperlichen Schmerzen.

Mir persönlich, und meinen Bekanntschaften außerhalb des Clubs, sind solche Themen zuvor hingegen kaum oder gar nicht begegnet. Ich wusste davor mit meinen grob 40 Jahren nicht so wirklich, was eine “toxische Beziehung” ausmacht, oder einen “Narzissten”. Mag sein, dass ich blind war dem gegenüber, aber mir scheint es da ein Thema zu geben das im Club zwar “jedem bekannt ist” und “alle naslang auftritt”, aber zu dem ich kurioserweise noch keinen Vortrag, keinen Workshop, keine Diskussionen mitbekommen habe, trotz meinem Interesse an solchen Themen, und meiner Teilnahme an mehreren Mediationen, Ausschlussverfahren, und Code of Conduct-Diskussionen in dutzenden Projekten. Und das, wo wir Kellerkinder mit oft schwierigen Kindheiten doch geradezu prädestiniert sind, sowohl was traumatisierte und traumatisierende TäterInnen- als auch Opferrollen angeht.

Vielleicht hätte das für meinen “Verlauf” nichts geändert; ich behaupte aber: doch, hätte es. Ein Verständnis zu Ausprägungen narzisstischer Gewalt hätte meine Position und mein Vorgehen bei der Begleitung von Konfliktfällen stark beeinflusst. Seit ich mich für das Thema sensibilisiert habe verstehe ich die Dynamiken viel besser, die auch in Spaces zu “toxischen Zuständen” führen. Sowas scheint ja öfters mal fast halbe Generationen von zuvor motivierten und gut gelaunten Hackern zu spalten und zu zerbröseln.

Wie dem auch sei: Man merkt, ich interessiere mich für das Thema, und würde mich gerne mit anderen Interessierten/Betroffenen dazu austauschen. Ich plane (gedanklich) einen Vortrag oder einen Artikel dazu; mal sehen wann ich dazu wirklich in der Lage bin.

Ist euch sowas schon begegnet? Habt ihr etwas zu berichten? “Kaputte Zustände” durch “schwer zu durchblickende Konflikte” in euren Spaces? Wollt ihr euch über Traumatherapiemethoden austauschen? Ein Lesezirkel? Workshop? Gerne pseudoynm/anonym. Ich werde alles vertraulich behandeln; mir geht’s darum, da (mit euch gemeinsam) Allgemeines daraus abzuleiten.

Ich möchte dabei durchaus auch mit Menschen diskutieren, die da eine ganz grundsätzlich andere Haltung vertreten. Gibt es verbale Gewalt überhaupt? Wie weit bin ich jeweils selbst für meine Gefühle verantwortlich, und ob mich eine Äußerung verletzt oder nicht? Wie geht man dabei z.B. mit Lügen um, und der damit verbundenen Frage von gegenseitigem Vertrauen? Was ist meine Verantwortung, was sind meine Erwartungen an mein soziales Umfeld? Wenn ein Code of Conduct nur von “Gewalt” spricht, woher kommt die Klarheit, was jeweils “erlaubt” ist und was nicht, vor allem im globalen Kontext ohne abgesprochene kulturelle Normen? Aus meiner Sicht steckt hier das größte Potential von Missverständnissen und gegenseitiger Verletzungen. Was bedeutet es in dem Zusammenhang, auf einander Rücksicht zu nehmen, die jeweiligen Verletzungen des Gegenübers anzuerkennen? Ich war jedenfalls sehr überrascht, wie wenig Konsens zu diesem zentralen Thema des Miteinanders zu herrschen scheint, und wie viel wir alle einfach implizit annehmen und entsprechend vom jeweiligen Gegenüber und der Gruppe erwarten. An was für einer Gesellschaft wollen wir bauen?

Matrix @serafin:tchncs.de. PGP-Mail momentan nur via moritz@renewablefreedom.org (0x0BAD489530DBB025). Postanschrift und Einladung zu In-Person-Treffen auf www.headstrong.de .

<3 LG mo

[1] z.B. Abwertungen. Negieren. Bestreiten. Gaslighting. Beschimpfungen. Befehlen, Fordern. Respektlosigkeit. Bevormundung. (“Gut gemeinte”) Unterstellungen. Vorverurteilungen. Verdeckte Beleidungen. Lügen. Drohungen. Versteckte Kritik.

[2] Mobbing, Manipulatives Verhalten; z.B. Einschmeicheln mit anschließendem Ausnutzen. Nähe/Distanz-Spielchen. Absichtsvolles Vergessen. Bewusstes Vorenthalten von Informationen. Bestrafendes Schweigen. Ignorieren. Schmollen. Erzeugen von Schuldgefühlen. Blocking/Ghosting etc.

[3] z.B. https://andreas-gauger.de/toxischer-kreislauf/

[4] https://twitter.com/gamambel (Statement in der Zwischenzeit aktualisiert)